Historiker-Stimmen

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Was wäre, wenn sich die evangelische Kirche und die Katholiken wie die Zeugen Jehovas verhalten hätten? Die Geschichte wäre anders verlaufen!
Prof. Dr. Susannah Heschel, Historikerin, Video: Standhaft trotz Verfolgung -Jehovas Zeugen unter dem NS-Regime, Watchtower Bible and Tract Society of New York 1996

„Heil Hitler!“ kam nicht über ihre Lippen. Man muss sich einmal vorstellen, wieviel Mut es kostete, anders zu sein. Man kommt in einen Raum und hört die Worte „Heil Hitler!“, und da sagt jemand „Guten Morgen!“, oder man betritt einen Raum, die Sitzung ist beendet, man sagt: „Heil Hitler!“, und jemand erwidert: „Auf Wiedersehen!“. Dieses Verhalten zeugt von einzigartiger Zivilcourage und von unvorstellbarer menschlicher Ehrbarkeit.
Dr. Michael Berenbaum, Historiker, Standhaft trotz Verfolgung – Jehovas Zeugen unter dem NS-Regime, New York 1996, Wachttower Bible and Tract Society of New York, Inc.

Ihre große Bewährungsprobe haben die Zeugen Jehovas im Zweiten Weltkrieg bestanden. Sie haben den Eid auf Hitler, den Kampf in der Wehrmacht und die Beteiligung an der Herstellung von Waffen verweigert. Viele der zur Wehrmacht eingezogenen Zeugen Jehovas wurden wegen Kriegsdienstverweigerung hingerichtet. Zahlreiche Bibelforscher wurden in die NS-Konzentrationslager gebracht, wo nicht wenige verhungerten oder Krankheiten erlagen.
em. o. Univ.-Prof. Dr. Erika Weinzierl, Historikerin, DÖW: Zeugen Jehovas – Vergessene Opfer des Nationalsozialismus, Wien 1998, S. 9

Ihr Handeln unter dem NS-Regime entzieht sich der herkömmlichen Kategorisierung. Denn die Zeugen Jehovas trafen bewusst die Entscheidung, sich dem nationalsozialistischen Regime unter dem Risiko ihres Lebens entgegenzustellen, und waren doch keine „Widerstandskämpfer“. Ihr Einsatz zielte nicht auf die Veränderung der politischen Ordnung, sondern es ging ihnen in ihrem religiös motivierten Gegenhandeln um die Möglichkeit uneingeschränkter Glaubensausübung und um die Treue zum „biblischen Gebot“, letztlich damit um die Verantwortlichkeit des einzelnen gegenüber Gott. „Widersand“ war für sie ein Bekenntnisakt, ein Erfordernis geistiger Selbstbehauptung.
Dr. Detlef Garbe, Historiker, DÖW: Zeugen Jehovas – Vergessene Opfer des Nationalsozialismus, Wien 1998, S. 18

Schon die bloße Zugehörigkeit zur Internationalen Bibelforschervereinigung war strafbar. Vereinzelt erfolgten auch Festnahmen, weil sich Sektenangehörige öffentlich als solche bekannten, ‚Zeugnis ableigten‘ oder Handlungen setzten, die von den NS-Behörden als letzteres interpretiert wurden. Anna und Stefan Piringer aus Zell a.d. Ybbs, denen man die Kinder weggenommen hatte, erkundigten sich in einem Brief an die Pflegeeltern ihres jüngsten Sohnes Franz nach dessen Befinden und wiesen sich offen als Zeugen Jehovas aus. Beide wurden wegen Teilnahme an einer wehrfeindlichen Verbindung … zu je einem Jahr und 6 Monaten Zuchthaus verurteilt. Stefan Piringer starb 1942 im KZ Dachau, Anna Piringer 1944 im KZ Ravensbrück.
Christa Mitterutzner, Historikerin, DÖW: Widerstand und Verfolgung in Niederösterreich 1933-1945, Band 3

Es gibt die erste Schuld, die Schuld des Verbrechens, und die zweite Schuld, die Schuld des Vergessens und Verdrängens von Verbrechen, die sogenannte Verschweigensschuld. Geschwiegen wurde mehr als 50 Jahre lang. Ich glaube die einzige Alternative dazu besteht darin, sich der historischen Wahrheit zu stellen und die Vergangenheit aufzuarbeiten. Es steht uns nicht zu über die damalige Zeit ein Urteil zu fällen: Die Geschichte selbst hat ihr Urteil gefällt. Was uns bleibt, ist die Verpflichtung, die Erinnerung an diese Zeit wachzuhalten.
Univ.-Prof. Dr. Peter Gstettner, Historiker, Ansprache anläßlich der Eröffnung der Ausstellung „Die vergessenen Opfer der NS-Zeit“ in Klagenfurt am 4. August 1998

Mut ist andererseits eine Tugend, die, wenn tödliche Konsequenzen drohen, nicht eingefordert werden kann. Umso höher muss man aber jene Menschen schätzen, die den Mut, sich dem Nationalsozialismus zu widersetzen, seine Ziele zu bekämpfen, aufgebracht haben. Bewegungen und Einzelpersonen, die das getan haben, fasst man unter dem Begriff „Widerstand“ zusammen. … Deshalb erfolgte der christlich motivierte Widerstand oft von überzeugten Einzelpersonen, Priestern und Laien, die nicht selten von ihren Vorgesetzten im Stich gelassen wurden. Vor diesem Hintergrund muss man die Haltung der Zeugen Jehovas bewerten. Sie waren die einzige Religionsgemeinschaft, die konsequent, aktiv und geschlossen den Nationalsozialismus ablehnte und dafür massive Verfolgung in Kauf genommen hat.
Dr. Gernot Kiermayer, Historiker, Ansprache anlässlich der Eröffnung der Ausstellung „Die vergessenen Opfer der NS-Zeit“ in Bregenz am 1. September 1998

Ziemlich rasch – bereits 1934 – versuchten Partei- und Staatsbehörden, die Zeugen aus ihren Stellen bei Behörden und privaten Betrieben herauszudrängen. Auch wurden Renten und Pensionen gestrichen. Ihre religiöse Überzeugung verbot es den Zeugen zu wählen, den „Hitler-Gruß“ auszuüben und dem Reichsarbeitsdienst oder der NS-Volkswohlfahrt beizutreten. Die kumulative Wirkung der Verfolgung der Zeugen bedeutete, dass ihre Arbeitsmöglichkeiten zunehmend eingeschränkt wurden, da sie aus der staatlichen Arbeitsvermittlung und den Arbeitsämtern ausgeschlossen wurden. Die Entlassung von ihren Arbeitsplätzen, das Verbot der Ausgabe von Wandergewerbescheinen an Bibelfoscher und der Verlust der Arbeitslosenversicherung bedeuteten die zwangsweise Verarmung individueller Zeugen.
Dr. Sybil Milton, Historikerin, DÖW: Zeugen Jehovas – Vergessene Opfer des Nationalsozialismus?, Wien 1998, S. 23

Ich freue mich ganz besonders, dass die Zeugen Jehovas selbst mit begonnen haben, hier in Österreich, an ihrer Zeitgeschichte zu schreiben, eine Zeitgeschichte, auf die sie stolz sein können – ohne Ausnahme stolz – im Gegensatz zu vielen anderen christlichen Religionen.
em. o. Univ.-Prof. Dr. Erika Weinzierl, Historikerin, Referat anlässlich der Buchpräsentation Zeugen Jehovas – Vergessenen Opfer des Nationalsozialismus? Wien, am 17. Juni 1998

Doch es gab nicht nur „Beifall“ von kirchlicher Seite über das entschiedene Vorgehen des neuen Staates gegen „Gottlosenbewegung und Bibelforschertum“, vielmehr wirkten an den maßgeblichen Besprechungen über das Verbot der Bibelforschervereinigung Vertreter der Kirchen mit. Mehr noch – und dieses gehört sicherlich zu den ganz dunklen Seiten der Kirchengeschichte, derer es leider in jenen Jahren nicht so wenige gab – teilweise riefen Kirchenleitungen die Pfarrer und Pastoren zu Spitzeldiensten für die Gestapo auf, um den Zeugen Jehovas „das Handwerk zu legen“.
Dr. Detlef Garbe, Historiker, DÖW: Zeugen Jehovas – Vergessene Opfer des Nationalsozialismus?, Wien 1998, S. 12

Mit Bescheid des Bundesgerichtshofes vom 7. Februar 1936 wurde die ‚Sekte‘ – nicht zuletzt auf Betreiben der katholischen Kirche – verboten. … Die Zeugen Jehovas – deren religiöse Einstellung ich nicht teile – geben ein Beispiel für die notwendige Zivilcourage, um menschenverachtenden Ideologien wie dem Nationalsozialismus zu trotzen. In diesem Sinne verneige ich mich als Historiker vor jenen Opfern aus dieser Religionsgemeinschaft, die Blutzeugnis abgelegt haben im Widerstand gegen das Hitlerregime.
Mag. Dr. Werner Bundschuh, Historiker, Ansprache anlässlich der Eröffnung der Ausstellung „Die vergessenen Opfer der NS-Zeit“ in Dornbirn am 23. September 1998

Die Zeugen Jeovas gewannen sich durch ihre unbedingte Haltung zu ihren Grundsätzen und Überzeugungen eine hohe Achtung unter den übrigen Häftlingen.
Wulff Brebeck, Historiker, Video: Standhaft trotz Verfolgung – Jehovas Zeugen unter dem NS-Regime, Watchtower Bible and Tract Society, New York 1966

Die Zeugen Jehovas stritten im Konflikt mit dem NS-Regime für die Organisation und Glaubensfreiheit. Widerstand war für sie ein Bekenntnisakt, ein Erfordernis geistiger Selbstbehauptung. … Ausschlaggebendes Kriterium für das Vorgehen gegen die Glaubensgemeinschaft war deren mangelnde Loyalität gegenüber dem nationalsozialistischen Staat. Sie, die den Eid auf Jehova geleistet haben, weigerten sich, auf Führer und Reich zu schwören, den Hitlergruß zu gebrauchen oder sich an Luftschutzmaßnahmen zu beteiligen. Die Ablehnung der Arbeit in der Rüstungsproduktion und die Verweigerung des Wehrdienstes wurden ebenfalls bereits angeführt. … Als die Konzentrationslager ab 1942 verstärkt in die Rüstungsproduktion mit einbezogen wurden, verweigerten nahezu alle Bibelforscherhäftlinge die Mitarbeit bei der Herstellung von Waffen und anderem Kriegsgerät. … Lassen Sie mich schließen: Den Zeugen Jehovas gab ihr Gottesglaube und ihr Vertrauen auf die biblischen Verheißungen die Kraft, die Ehrfurcht vor dem Leben auch in jener Zeit zu wahren. Dafür gebührt ihnen unsere Hochachtung und unser Respekt.
Dr. Heinz Arnberger, Historiker, Ansprache anlässlich der Eröffnung der Ausstellung „Die vergessenen Opfer der NS-Zeit“ in Wien am 5. Oktober 1998

Eine Teilnahme an dem von den politischen Gefangenen getragenen Lagerwiderstand lehnten sie ab. Sabotage und politisch zielgerichtete Aktionen gegen die SS meinten sie mit ihrem Glauben nicht vereinbaren zu können. Selbst im Lager versuchten sie, ihre bibelforscherische Neutralität zu wahren.
Dr. Detlef Garbe, Historiker, DÖW: Zeugen Jehovas – Vergessene Opfer des Nationalsozialismus?, Wien 1998, S. 17

Die Geschichtswissenschaft ist nicht immer objektiv, aber muss sie deshalb ungerecht sein? Die Auseinandersetzung mit dieser Opfergruppe ist sicherlich durch Jahrzehnte dadurch beeinflusst worden, dass eine Mehrheit mit dieser Gruppe nicht so viel anzufangen weiß und dieses Unverständnis hat dazu geführt, dass die Opfer dieser Gruppe nicht gewürdigt wurden, und das ist sicher ungerecht. Wenn von religiösem Widerstand gesprochen wird, fällt jedem Franz Jägerstätter ein. Bei der Auseinandersetzung mit Jägerstätter fällt der Vorwurf ein: „Es kann nicht jeder ein Jägerstätter sein.“ Das kann man nicht erwarten und auch nicht fordern. Umso höher muss die Entschlossenheit und Entschiedenheit jener gewürdigt werden, die dafür in den Tod gegangen sind. Allein in Krems gab es fünf Jägerstätter: Rudolf Redingshofer, Hubert Stanzl – er weigerte sich den Hitlergruß zu leisten und in der Waffenfabrik in St. Valentin zu arbeiten -, Franz Oswald, das Ehepaar Köck. … Allein fünf Opfer in Krems sind eine Notwendigkeit, dass man sich mit dieser Zeit auseinandersetzt und das Opfer, das sie gebracht haben, würdigt.
Dr. Robert Streibel, Historiker, Ansprache anlässlich der Eröffnung der Ausstellung „Die vergessenen Opfer der NS-Zeit“ in Krems a.d. Donau am 2. Mai 1998

Von Anfang an nahmen Jehovas Zeugen eine klare Position ein, und sie bewahrten ihren Standpunkt politischer Neutralität … In den ersten Monaten versuchte man den Behörden zu erklären, was das bedeutet, und dass es sich dabei nicht um eine politische Bedrohung handelt.
Dr. Christine King, Historikerin, Video: Standhaft trotz Verfolgung -Jehovas Zeugen unter dem NS-Regime, Watchtower Bible and Tract Society of New York 1996

Lange Zeit hat die zeitgeschichtliche Forschung die Zeugen Jehovas nur als Kriegsdienstverwigerer wahrgenommen. Erst sehr spät begann sich dann die Forschung mit dem Konflikt der Zeugen Jehovas im Nationalsozialismus auseinanderzusetzen. … Wieso kommt es zu einer so radikalen Verfolgung einer – statistisch gesehen – unbedeutenden Gruppe, die für die Nationalsozialisten rein aufgrund ihrer Größe eigentlich keine Gefahr bedeuten konnte? Historiker haben auch immer wieder darauf hingewiesen, dass Zeugen Jehovas, auch sozial gesehen, keine Gefahr darstellten. Sie waren in den gesellschaftlichen Eliten des Deutschen Reiches überhaupt nicht verankert. Sie finden so gut wie keine Zeugen Jehovas in der deutschen Aristokratie, sie finden so gut wie keine im Großbürgertum. Die Masse der Zeugen Jehovas rekrutiert sich aus Handwerkern, Arbeitern und aus dem Kleinbürgertum.
Mag. Gerhard Baumgartner, Historiker, Ansprache anläßlich der Eröffnung der Ausstellung „Die vergessenen Opfer der NS-Zeit in Eisenstadt am 6. Juli 1998

In den Jahren 1939 bis 1941 hat die SS mit unvorstellbarer Grausamkeit gegen die Zeugen Jehovas gewütet. Sie hat alle Formen der Folter und der Torturen gegen sie aufgebracht und gegen sie angewandt, um Zeugen Jehovas zu brechen.
Dr. Detlef Garbe, Historiker, DÖW: Zeugen Jehovas – Vergessene Opfer des Nationalsozialismus, Wien 1998, S. 12

 

 

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